Willkommen im Traumwald
Mythen und Märchen

der Traumspiegel 5

Die Blitze durchzuckten noch immer den Himmel und schienen auf seltsame Weise zu gefrieren. Farina saß vor ihrer Höhle und sah nach oben.
„Ja, es ist Krieg, Luna. Und wir werden nichts dagegen tun können – sie wollen den Krieg!“
Aus der Dunkelheit öffneten sich zwei silberne Augen und die Nacht erschuf vor ihr die Gestallt der Mondin. Das schattenhafte Wesen setzte sich neben die alte Wolfwe. Trauer lag in den weichen Katzenzügen ihres Gesichtes.
„Sie hören schon lange nicht mehr auf uns. Sie brauchen und nicht mehr!“ Farina blickte zu ihrer alten Freundin.
“Es ist vorbestimmt, Du weißt! Das Ende der Traumzeit wird kommen – schon bald. Ich spüre es seit langem.“ Luna Majai sah hoch zum Himmel.
„Und trotzdem sollten wir nicht die Hände in den Schoß legen. Jemand sollte den Spiegel im Auge behalten. Nun, da er endgültig in die Hände der Sterblichen fallen wird. Und sie haben Kandira auf ihrer Seite.“
„Sterbliche?“
„Ja, ich habe ihn gesehen – begleitet von einem Wesen des Sonnenfeuers.“
„Eine Vaira, nicht wahr? Eine meiner Wolfwen sah sie ebenfalls.“
„Dann schicke eben jene, auf den Sterblichen zu achten. Vielleicht werden wir doch noch etwas tun können. Wir werden es nicht verhindern können. Es geschehe, was geschehen muss. Aber vielleicht können wir es noch ein wenig aufhallten. Vielleicht …“
Die beiden Gestalten hüllten sich in Schweigen als der Himmel zu weinen begann und ein weiterer Blitz auf die Bergkuppe niederging. Baumkronen gingen in Flammen auf. Geröll löste sich und suchte seinen Weg ins Tal. Ein Zittern rann über die Welt und riss den Boden auf. Rote Glut trat heraus und setzte das angrenzende Gestrüpp in Brand. Die Flammen kämpften gegen den stetig niederprasselnden Regen. Die Welt kämpfte ihren eigenen Krieg und es war, als wolle die namenlose Göttin selbst das Ende der Zeit einleiten. Es war nicht das erste Erdbeben in dieser Zeit und es würde mit Sicherheit auch nicht das letzte sein.
Schweigend saßen die alte Wolfwe und die Führerin der Nachtjäger auf dem Berg Siran und beobachteten das Schauspiel mit derselben Faszination wie am Anbeginn der Zeit, als die Welt sich in den Händen der Göttin selbst erschuf. Nur damals waren Helios Karim und Dirajan, der älteste der Vaira bei ihnen. Vielleicht saßen auch sie jetzt irgendwo im hellen Land und sahen, wie die Welt, deren Geburt sie miterlebt hatten, nun langsam starb.
Und vielleicht weinten sie jetzt auch.
 
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„Wir hätten nie in die Akronberge ziehen dürfen!“ Radan biss die Zähne zusammen, als das Mädchen die klaffende Wunde mit einer Paste aus zerriebenen Kräutern füllte.
„Ich habe es ihm gesagt. Es war glatter Wahnsinn, die Wolfwer anzugreifen. Bei den Göttern!“
„Ihr müsst still halten. Ihr wollt doch bald wieder gesund werden.“
Er sah in zwei nachtschwarze Augen.
„Warum hast Du mich gerettet?“
„Sollte ich Euch dort im Wald liegenlassen, auf das Ihr dort Euer Ende findet? Nein, ich glaube, das Schicksal hat höheres für Euch bestimmt.“ Mit feuchten Leinentüchern bedeckte sie seine Wunden.
„Du bist eine Garmiserin. Wie ist Dein Name?“ Mit aller Kraft setzte er sich auf und betrachtete die schlanke Gestallt der jungen Frau. Für jemanden, der im Wald lebt, war sie erstaunlich gut gekleidet. Ihr fast bodenlanges schwarzes Haar war von einem Geflecht aus Goldfäden durchzogen, welche in einer Art Diadem auf ihrer Stirn endete. Das Metall bildete kaum einen Kontrast zu ihrer weichen wie Bronze schimmernden Haut. Er wusste nicht, wer oder was sie war, doch sie musste eine Garmiserin sein – daran bestand kein Zweifel.
„Garmis interessiert mich nicht. Seine Grenzen bedeuten mit nichts. Die Macht Magrins verliert sich in den Bergen Akrons. Und ihr, dient ihr Garmis, Soldat?“
„Ich bin Radan, Oberster Führer der königlichen Heerscharen von Garmis.“ Er senkte die Stimme und seufzte lautlos. „Aber was spielt das schon noch für eine Rolle? Der König ist tot. Ich weiß nicht, wer nun in Magrin auf dem Thron sitzen wird, da König Assin keinen Sohn hatte, ja nicht einmal eine Frau oder Tochter. Die Nachbarländer werden einfallen und niemand wird da sein um Garmis zu verteidigen.“
Sanft wie eine Feder setzte sie sich an sein Bett, um neue mit Kräutersud getränkte Tücher auf seine Wunden zu legen.
„Ihr müsst nun schlafen. Legt Euch zur Ruhe.“
„Du hast mir immer noch nicht Deinen Namen gesagt.“
„Pergai, Tochter der Malija.“
„War sie nicht eine bekannte Priesterin? Aber kam sie nicht aus dem hellen Land“
„Ja, sie war eine Priesterin. Und ich bin es auch. So vertraut mir und legt Euch nun nieder!“
Radan spürte die Erschöpfung als er sich zurück in die weichen Kissen legte.
„Eine Priesterin welches Gottes?“, fragte er noch leise.
„Ich gehöre zu den Geweihten des Helios Karim. Zum Orden des Sonnentempels in Diwej.“ Verträumt sah sie aus dem Fenster, während Radan noch einmal versuchte, den Kopf zu heben.
„Diwej – liegt das im hellen Land?“
„Ja, in Simarg an der Küste des Meeres. Eine wunderschöne Stadt, erbaut aus weißem Marmor. Und oben auf einer Klippe steht der Tempel. Das goldene Dach scheint wie das Sonnenfeuer selbst. Vom Tempel aus kann man das Meer sehen. Wie flüssiges Kristall sieht es aus.“
„Mir scheint, Du liebst das helle Land. Was tust Du hier in Garmis?“ Radan kämpfte mit dem Schlaf.
„Meine Mutter kam aus Askaris. Sie erzählte mir viel über die Berge Akrons und sagte, dass meine wahre Bestimmung hier läge. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass sie Recht hatte. Ich meine, die Menschen hier glauben an so primitive Dinge wie Flussgeister.“
„Die Flussgeister sind wirklich! Wirklicher als es der Sonnentempel von Diwej für uns jemals sein wird.“ Radan war empört. Die Flussgeister bedeuteten Leben. Er selbst opferte ihnen jedes Jahr wenn der Schnee schmolz.
„Nun, ich glaube Garmis braucht den Glauben des Sonnenfeuers mehr als ich dachte.“, fuhr Pergai fort. „Und wer könnte die Garmiser besser lehren, als eine ihres Blutes?“ Sie blickte zu Radan. Doch er weilte bereits in der Welt seiner Träume.


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Es war seit Stunden Nacht, doch noch immer kniete Mefra auf dem kalten glatt geschliffenen Bodes des Mondtempels. In ihm spiegelte sich alles wie auf der glasklaren Oberfläche eines nächtlichen Sees. Und wie durch Zauberhand formte der Spiegel des Tempelsees eine Statue der Mondin.
Die besten Bildhauer Iskais waren nach Siskin gerufen worden, um diesen Tempel aus Obsidian zu erbauen. Von weitem wirkte er oben auf dem Berg Sisk wie der geschlossene Kelch einer Kinackblüte. Nun mag es den Erbauern zu Gute gekommen sein, dass sie den kostbaren Stein nicht erst nach Siskin bringen mussten, da der Berg oberhalb des kleinen Städtchens ein gewaltiger Obsidianfelsen war. Eine Treppe führte wie der zerbrechliche Stiel der Blüte geschwungen hinauf. Die Eingänge waren von außen nicht erkennbar. Wohl fürchteten die Priesterinnen vom Tempel der Luna Majai um ihre angehäuften Schätze. Den Tempel selbst stellte das Innere der Blüte dar, in dessen Mitte die Gestalt der Göttin stand. Man hatte die Figur betont weiblich gestaltet und mit üppigen Formen ausgestattet. Den Blick jedoch schamhaft gesenkt, so das die silbernen Augen nur Sichelmonde formten. Auch war das Gleichnis mit der fruchttragenden Narbe der Blüte durchaus beabsichtigt. Galt die Mondin doch in Iskai – wie in allen dunklen Ländern – als Sinnbild der Fruchtbarkeit und Weiblichkeit. In den „Schriften der Mondin“ schrieb man ihr über dies Schönheit, Demut, Bescheidenheit und Passivität zu. Niemand wusste mehr genau, wer die Schriften der Mondin verfasst hatte, nur, das es wohl ein Mann gewesen war, der sich die Frauen Iskais ebenso wünschte. Nicht zuletzt deshalb wählte man wohl das Sinnbild der geschlossenen Blüte.
Mefra stand kurz vor ihrer Weihung zur Priesterin. Die anderen des Ordens sahen dies nicht unbedingt einstimmig für gut an. Einige, die noch immer versuchten, sie zu belehren, glaubten, sie würde sich ändern, wenn sie erst einmal ein Teil des Ordens wäre. Doch die meisten versuchten einfach, ihre Existenz zu leugnen. Nun, nicht das sie nicht an die Göttin glaubte. Mefra liebte die Mondin mehr als sonst etwas auf der Welt. Und doch war ihre Art, Luna Majai diese Liebe zu zeigen eine doch recht eigenwillige. Sie trank den Zeremoniewein nicht allein zur Ehrung der Göttin, sondern vielmehr weil er ihr schmeckte. Auch saß sie viel lieber außerhalb des Tempels, um das wahre Antlitz der Mondin zu betrachten, als die steinerne Figur im Inneren der Tempelblüte zu ehren.
Auch dieses Mal hatte man sie zum Abendgebet draußen im Wald suchen müssen, wo eine Priesterin sie dabei ertappte, wie sie mit Hilfe eines Stockes übte, ein Schwert zu führen. Man hieß sie zu beten und die Mondin um Verzeihung zu bitten.
Das Mädchen spürte den karten Boden unter ihren Knien seit langem nicht mehr. Ihre Gedanken waren weit fort. Anstatt um Verzeihung zu bitten, träumte Mefra davon, eine Kriegerin im Dienste Luna Majais zu sein. Sie wusste, dass es für sie nie eine andere Zukunft geben würde, als Priesterin zu werden. Als Kind hatte man sie vor einem der geheimen Eingänge des Tempels gefunden. Wohl war sie das uneheliche Kind einer Iskaien gewesen, die ihre Schuld zu sühnen glaubte, so sie das Kind der Göttin schenkte. Ihre Träume machten Mefra das karge Leben im Tempel leichter. Lächelnd kniete sie vor der schwarzen Statue.
„Warum lächelst Du? Sollst Du nicht die Mondin für Dein schändliches Benehmen um Vergebung bitten?“ Die gesenkte Stimme der Hohen Priesterin hallte an den Blütenblättern wieder. Mefra war ihre lautlosen Schritte gewohnt.
„Luna Majai hat mir verziehen.“ Mit strahlenden Augen sah sie sich um. Figressa blickte streng auf sie hinab. Wusste sie doch, dass der Wille dieses Mädchens ungebrochen blieb, solange auch immer sie beten musste.
„Wann die Göttin Dir verziehen hat, entscheide ich! Du wirst weiterbeten!“
Die hohe Priesterin verschwand ebenso lautlos, wie sie gekommen war im Inneren des Berges und Mefra war wieder allein mit ihren Träumen. Für einen Augenblick hielt sie Inne und lauschte. Das Beben hatte sich gelegt. Vielleicht hatte ihr die Göttin tatsächlich vergeben. Auch glaubte sie zu spüren, dass sie nicht allein im Raum war.
„Steh auf! Eine Kriegerin kniet nicht!“ Eine Stimme, die nur aus Dunkelheit zu bestehen schien, erfüllte das Innere der gewaltigen Kinackblüte. Sie schien von jenem Abbild der Göttin auszugehen. Erstaunt sah das Mädchen auf. Die Statue begann, sich vor ihren Augen zu verändern. Die sonst so üppigen Formen wichen dem geschmeidigen Körper einer Kriegerin. Die silbernen Augen der Katze öffneten sich zu ihrer vollen Schönheit.
Mefra lebte mit dem Bild der Mondin seit sie sich ihrer selbst bewusst war, doch zum ersten Mal schien sie ihr vertraut. Jetzt, wo sie stolz den Kopf hob und sie ansah.
Luna Majai streckte die Hand aus und winkte die angehende Priesterin zu sich. Kaltes Mondlicht fiel auf Mefra. Das schwarze Ordensgewand glitt von ihrem Körper. Das Licht berührte ihre Haut, formte reich verzierte Schienen um Arme und Beine, ein Kettengewand über ihren Leib wie eine zweite Haut, formte Helm und Stiefel. Alles glänzte als bestände es aus Mondfeuer. Je um die Gelenke beider Hände schlossen sich Spangen, ebenso um Mittel – und Zeigefinger breite Ringe. Beides diente zur Befestigung zweier Mondsicheln, deren Mitten in ihren Handflächen lagen. Vielleicht zwei Ellen lang und zwei Finger breit, die Innenseiten scharf geschliffen und zu den Enden spitz zulaufend. Mefra kreuzte die Arme vor der Brust und stand im Eisfeuer der beiden Monde.
„Du bist zur Kriegerin geboren, Mefra. Du lebst im wahren Glauben der Nacht.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Glaubst Du wirklich, dass ich das bin, wozu die Menschen mich gemacht haben?“
Ein erneutes Beben erschütterte den Boden. Nur schien es dieses Mal nicht aus dem Inneren der Erde zu kommen. Vielmehr war sein Ursprung der Tempel selbst. Und leicht wie eine Kinackblüte am Morgen öffneten sich die zarten Onyxblätter der Tempelblüte. Die Glaskuppel zerfiel in Sternenstaub und die nun wieder zu Stein erstarrte Gestallt der Mondin blickte stolz in den weit offenen Himmel.
„Es wird Krieg geben, Mefra. Nun ist es an Dir, Menschen zu finden, die wie Du wahrhaft glauben und an Deiner Seite kämpfen wollen – an meiner Seite, Mefra! Ist es nicht das, wovon Du immer geträumt hast? Nun gehe hinaus und kämpfe! Die Dunkelheit ist mit Dir.“ Die Stimme verhallte in der Weite des Nachthimmels und Mefra fühlte sich zum ersten Mal als Priesterin der Mondin.
„Ja Luna, ich werde für Dich kämpfen!“
Und entschlossenen Schrittes verließ sie die weit geöffnete Tempelblüte, die sich einem neuen Morgen entgegen zu strecken schien.
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