Willkommen im Traumwald
Mythen und Märchen

Die Schneekönigin 2

Es war wieder ein Abend im Februar und Kai war seit Stunden draußen und schaute in das schwarze Spiegelbild im Eis auf dem Dorfteich. Gerda hatte ihn gebeten, ja angefleht, mit ihr Schlittschuhlaufen zu gehen. So wie sie es früher getan hatten. Erst war er nur widerwillig mitgegangen. Doch dann genoss er die gleitenden Bewegungen auf dem Eis. So viel schöner als zu laufen. Wie fliegen. Er lief schneller und schneller. Gerda, die ihm nicht folgen konnte, aber auch seine Hand nicht loslassen wollte, fiel in einer Kurve hin und zog ihn mit sich. Er war wütend, dass sie ihn in dem Tanz unterbrochen hatte. Er nannte sie ein Trampel. Und dann sah er das schwarze Wasser unter dem Eis. Wie tiefe unergründliche Augen und er glaubte nie etwas Schöneres gesehen zu haben.
Gerda klopfte sich den Schnee von der Kleidung.


„Kai, ich verstehe Dich nicht mehr.“ Sie drehte sich um und lief davon. Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, begann sie zu weinen. Aber auch schon viel früher hätte er keine Notiz davon genommen. Er merkte auch nicht, dass die anderen Menschen vom Eis verschwanden und er nun ganz allein dort war.
Und dann sah er sie. Es war ein silberner Schlitten, der von weißen Wölfen gezogen wurde. Und in einen Mantel aus weißen Kaninchenfellen gehüllt saß eine Frau und ihre nachtschwarzen Haare wehten im Wind. Vor dem See kam das Gespann zum Halten. Und mit einer schlanken weißen Hand winkte sie ihn zu sich. Des Sturmriesen Tochter war schön wie nie.
Ohne einen Augenblick nachzudenken, ohne sich an Gerda zu erinnern, an seine Familie oder jene Menschen, die er einmal seine Freunde nannte, stieg er zu ihr in den Wagen. Ihr Lächeln war bezaubernd wie Raureif. Sie legte ihren Arm um seine Schulter und er schmiegte sich an sie. Unter ihren Mantel wie eine junge Pflanze unter die wärmende Schneedecke, die vom Frühling träumt. Die Wölfe liefen los. Ohne eine Spur zu hinterlassen glitt der Schlitten über den Pulverschnee und ihre Finger spielten mit seinem lockigen Haar.
„Willst Du mich immer noch auf einen Ofen setzen?“ Ihre Stimme klang wie Glöckchen aus Kristall. Er schüttelte nur den Kopf und kuschelte sich näher an die Frau an seiner Seite. 
Ein Eissturm umwirbelte sie. Kai verbarg seine Augen unter ihrem Arm. Und er spürte nicht, wie der Schlitten sich durch die Dimensionen bewegte. Die Welt Midgard durch die Wolken verließ und heimkehrte in die Welt längst vergessener Sagen.
„Wach auf. Wir sind zu Hause.“ Sie küsste ihn sacht auf die Stirn. Ihre Lippen waren von der Art Kälte, wie Schnee es ist, wenn man ihn zwischen den Händen verreibt damit sie warm werden. Und Kai spürte die Hitze tief in sich aufsteigen. Sein Herz erreichen. Dann blickte er sich um. So weit das Auge reichte verschneite Wälder, Täler und Berge. Und über all dem ein Schloss aus schwarzem Stein. Überzogen mit Eis und Reif, wie ein Palast aus schwarzem Kristall. Wie das Eis über dem schwarzen Wasser des gefrorenen Sees.  
Skadi stieg aus dem Schlitten und begann die Geschirre von den Rücken der Wölfe abzuschnallen. Sie schmiegten sich an ihre Beine und ließen sich streicheln bevor sie wie Schatten in den Wald hineinliefen.
„Komm!“ Das große Tor öffnete sich. Und nun kletterte auch Kai vom Schlitten. So gern auch er die Wölfe gestreichelt hätte, so wusste er doch, das es gefährliche Wesen waren und wahrte Abstand.  Irgendwo in ihm sagte ihm eine Stimme, dass auch sie ein gefährliches Wesen war. Aber seine Sehnsucht war stärker als alle Bedenken. Einen Schritt hinter ihr durchschritt er den hohen Torbogen.

Aber Gerda konnte ihn nicht vergessen. Als der Schnee zu schmelzen begann, und er immer noch nicht wieder zurück war, beschloss das Menschenmädchen, sich auf den Weg zu machen, ihren Liebsten zu suchen. Sie stand im Zimmer der alten Frau und schaute Richtung Norden. Dorthin, wo der Schlitten an Horizont verschwunden war.
„Großmutter. Die Schneekönigin. Wo kann ich sie finden?“
„Gerda, das sind nur Geschichten aus alter Zeit. Kai ist tot. Du wirst einen anderen Jungen finden und eine gute Christin werden.“ Die alte Frau streichelte ihre Hände. Aber Gerda hörte gar nicht zu.
„Ich weiß, dass Kai lebt. Und er ist bei ihr. Bitte Großmutter. Es gab doch Wege zwischen den Welten.“
„Kind, die Regenbogenbrücke ist zerbrochen und den Weg nach Utgard kennen allein die Trolle hoch im Norden.“
„Dann werde ich sie fragen.“
„Nein!“, rief ihr die alte Frau noch nach. Aber Gerda lief schon die Treppe hinunter. Sie packte ihr Bündelchen zusammen. Viel hatte sie nie besessen. Das wertvollste in ihrem Leben war Kais Liebe und ihre Rosen gewesen. Und beides schien sie verloren zu haben.
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