Willkommen im Traumwald
Mythen und Märchen

der Traumspiegel 4

Wieder bogen sie an einer der Gabelungen links ab. Dort war Licht! Nicht sehr hell und noch weit entfernt – auch mochte es von Fackeln stammen – und doch war es Licht! Seine Schritte beschleunigten sich. So sehr er das Leuchten Nafeis lieben gelernt hatte, so sehr vermisste er doch das Sonnenfeuer. Fast schon rannte er die letzten Meter. Dann blieb er stehen, überwältigt vom Anblick welche sich ihm darbot.
Der Gang mündete in einer riesigen Halle. Sie mochte gut dreimal so groß sein wie sein heimatliches Schloss. Ausgeleuchtet von Tausenden von Fackeln, die in drei übereinander platzierten eisernen Ringen an den Wänden befestigt waren. In der Mitte der Höhle brannte Feuer in einer riesigen Schale. Aus dem Felsen waren in meisterhaftem Geschick Tische und Tafeln, Bänke und Stühle herausgearbeitet worden. Assin fragte sich, ob es nur an der Größe der Halle lag, dass ihm die Tische so klein vorkamen. Er erinnerte sich an die die Geschichten, die er über die Zwerge gelesen hatte. Es hieß, sie seien nicht größer als zehnjährige Kinder. Doch wurde stets davor gewarnt, sie zu unterschätzen. Seien sie doch geschickte Kämpfer mit der Axt. Er sah sich um. So überwältigend der Anblick der Halle auch sein mochte, nirgendwo fand sich auch nur eine Spur des sagenumwobenen Reichtums der Zwerge.
Stimmen hallten irgendwo in den Gängen. Sie schienen näher zu kommen. Aber aus welcher Richtung? Assin war verwirrt. Auch wusste er nicht, wie er den Zwergen begegnen sollte. Er wusste nicht einmal mit Menschen umzugehen. Und nun würde er auf Wesen treffen, die freiwillig in der Dunkelheit lebten.
Er sah zu Nafei, welche sich an den Eingang gesetzt hatte.
„Was nun?“
„Wir werden warten.“
„Warten?“ Ein Wort, das Assin am liebsten aus seinem Wortschatz verbannt hätte. Er war der König! Man wartete auf ihn! Und er? Warum sollte er auf irgendetwas warten – und dies gerade jetzt, da der Spiegel für ihn greifbar nah erschien? Jetzt sollte er warten!
„Du versprachst, mich zum Spiegel zu bringen. Wie Du siehst, die Zwerge sind nicht hier. Es ist Zeit!“
„Wir werden warten.“ Sie schloss die Arme um die angezogenen Knie und schaute hinauf zum steinernen Firmament der Halle. Assin war verzweifelt. Er fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Und trotzdem faszinierte ihn der Gedanke, dass ihm zum ersten Mal in seinem Leben ein Wesen widersprach. Auch das er auf jemanden angewiesen war, war durchaus neu für Assin. Nun, ein König ist immer mehr oder weniger auf sein Volk angewiesen, doch er wusste, dass er ohne Nafei den Spiegel in diesem Labyrinth nie finden würde. Als ob er je hätte nicht ohne jemand anderes regieren können – oder essen. Nun gut, dazu brauchte man zumindest den Koch, der es zubereitete…und die Bauern, die anpflanzten und ernteten. Aber nie musste er auf irgendjemanden warten.
Stumm setzte er sich neben sie.
Essen! Er spürte tatsächlich Hunger in sich. Und er dachte nicht an den Spiegel.
Aus einem anderen Winkel der Halle gellte ein Schrei. Metallgeschirr fiel schellend zu Boden und einige Stimmen begannen heftig aufeinander einzureden. Assin sah neugierig in die Richtung, aus welcher die Stimmen kamen. Vier Frauen standen am Eingang. Eine von ihnen kniete am Boden und sammelte das Geschirr wieder auf.
„Es wird Ärger geben.“ Erwähnte Nafei wie beiläufig während auch sie das Schauspiel betrachtete.
„Ärger? Warum?“
„Es sind eben Zwerge.“
„Wir werden sehen!“ Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht mit ein paar Zwergen fertig werde – wollte er noch sagen. Aber er ließ es.
Mit großen Schritten bewegte er sich durch den Raum. Im Widerhall seiner Stiefel verstummten die Frauen.
„Kann ich ihnen zu Diensten sein, holde Damen?“ wobei er vor allem auf die jüngste Zwergin sah, welche noch immer am Boden kniete.
„Es tut mir leid. Ich wollte Euch nicht erschrecken.“
Das Mädchen begann zu lächeln. Auch wenn Assins hoch gewachsene hagere Gestallt nicht ganz ihrer Vorstellung von einem Mann entsprach, so fühlte sie sich doch von seinen Worten geschmeichelt. Selbst wenn es ihr doch absurd erschien, das er sie erschreckt haben sollte.
Eine der anderen Frauen trat vor sie, die seine Worte nicht hatten betören können. Die Zwergin stemmte ihre Hände in die Seiten und richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Und trotz der Tatsache, dass sie ihm nicht weiter als bis zum Bauch ging, sah sie auf seltsame Weise auf ihn herab.
„Tiefra, geh!“
Den Kopf gesenkt ging die junge Zwergin von einer anderen gefolgt zurück in den Gang, aus dem sie gekommen waren.
„Was wollt ihr hier?“ Ihr Blick verfinsterte sich.
„Wir sind Reisenden, die in diesen Gewölben Schutz suchen.“
„Schutz?“
„Räuber haben uns überfallen.“
„Euch vielleicht, doch scheint mir, das Wesen in Eurer Begleitung bedarf keines Schutzes.“
Assin blickte sich um. Nafei saß immer noch am Eingang.
„Wohl habt Ihr Recht, weise Zwergin. Jene Maid rettete mich im letzten Augenblick aus ihren Fängen und vor dem Angesicht des Todes. Das Schicksal führte uns durch die Pfade des Labyrinths zu Euch. Es lag allein in den gütigen Händen der Göttin, das sie und zu jenem Volk führte, dessen Mut und Größe weit über die Berge Akrons hinaus, gepriesen wird.“ Assin machte eine tiefe Verbeugung – so tief, dass er direkt in Bagriedas Augen schaute, die ihn immer noch finster ansah!
„Was bist Du, Fremder? Einer von diesen Schauspielern, die es unter den Menschen zu Hauf zu geben scheint?“
Assin richtete sich wieder auf, räusperte sich kurz und begann sich mit hoch herrschaftlichem Ton vorzustellen.
„Ich bin Assin, König von Garmis und ich möchte den König Eures Volkes sprechen.“
Bagriedas Blick beugte sich ihrem Unverständnis.
„Den König der Zwerge? Ihr seid doch auch nicht der König der Menschen. Außerdem gibt es keinen König der Zwerge!“
Assin verzweifelte zusehends. Wieder warf er einen Blick hinüber zu Nafei.
„Dann bringt mich halt zu Eurem Anführer!“
 
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Majantar stand auf einer der zahlreichen Klippen des Berges Siran uns sah hinab auf die wuchtigen Baumkronen des Waldes. Seines Waldes. Der Wald Akrons, die Berge und vor allem Siran gehörten den Wolfwern. Und er war der Oberste aller Sippen in diesen Wäldern. Es waren seine Wälder! Nur ungern ließ er es zu, das Menschen in ihm lebten, doch war es seit dem Anfang der Traumzeit Gesetz, das Akron allen Wesen gehörte, die hier lebten, mit der Ausnahme, das die Wolfwer sich fern hielten von den Siedlungen der Menschen und die Menschen nie einen Fuß dorthin setzten, wo die Wolfwer lebten – und vor allem nicht nach Siran. Und nun hatten die Sterblichen dieses Gesetz gebrochen.
Neben ihm saß – einem Schatten gleich – die Wolfwe Farina. Niemand wusste, wie alt sie wirklich war. Viele erzählten sich, sie lebte schon seit dem Anbeginn der Zeit in den Akronbergen und vielleicht mochte das auch war sein.
Farinas Hände waren knochig, doch die Krallen waren scharf wie eh und je. Ebenso wie der Blick ihrer goldenen Augen, mit denen sie die Dunkelheit durchstreifte und letztendlich eine Richtung fixierte.
„Findest Du es nicht unpassend, gerade jetzt die Gestalt der Sterblichen anzunehmen?“ Die Stimme des Wolfwers klang verbittert.
„Es ist auch die unserige – ebenso wie der Wolf. Und bedenke: auch die Wölfe sind sterblich.“
„Die Sterblichen waren immer auf der Seite des Lichtes. Weil sie uns nicht verstehen, ebenso wenig wie die Dunkelheit und die Wälder, in die sie nie hätten kommen dürfen. Mehr noch: sie fürchten uns!“ Majantar richtete sich auf. „Ryana sah, wie eine Vaira ihren Führer mit sich nahm. Sie haben sich also endgültig für die Seite des Lichtes entschieden. Es ist also Krieg!“
Dieser Kampf musste nicht sein. Sie kamen wegen mir und wegen des Spiegels. Warum habt ihr mich nicht gehen lassen?“ Farina schloss traurig ihre goldenen Augen. „Auch die toten Leiber unserer Brüder und Schwestern liegen dort unten im Wald.“
Langsam erhob sich die alte Wolfwe. Sie blickte noch einmal auf den Anführer ihres Rudels. Als es einst darum ging, Majantar zum Führer der Wolfwer zu erwählen, hatte sie lange gezögert, ihm ihren Segen zu geben. Sie hatte noch lange Zeit um Mokar getrauert, der einst an ihrer Seite die Wolfwer durch die großen Kriege geführt hatte. Nach seinem Tod war es Farinas Wunsch gewesen, Mokars Sohn an der Spitze der Wolfwer zu sehen, doch hielt der Rat ihn für zu schwach und unerfahren. Allein seine Sippe gab ihm die Stelle seines Vaters an ihrer Spitze. Seit damals waren die Dismar in den Norden Akrons verschwunden und kamen nur selten nach Siran.
Damals glaubte man, es würde bald wieder Krieg geben und man bräuchte einen Krieger an der Spitze. Letztlich hatte Farina nicht mehr als zustimmen können. Doch gab sie ihren Platz in der Hierarchie der Wolfwer auf. Sie verließ die Sippe Majantars, die seit dem auf dem Berg Siran lebten und suchte sich eine Höhle an der Ostseite des Berges, in der sie fortan lebte.
Majantar wusste, das sie ihn nie auf dem Platz Mokars akzeptieren würde. Sie hatte nie aufgehört, an seiner Wahl zum Führer der Wolfwer zu zweifeln. Und wie damals verschwand sie wortlos in den Schatten der Bäume.
„Wir haben sie besiegt! Nur das ist wichtig!“ rief Majantar ihr stolz hinterher. Doch weniger zu Farina, als zum Rest der Welt und vor allem zu den Sterblichen und Lichtgeborenen, die in ihr lebten.
 
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„Nun, ganz so leicht sollst du es nur doch nicht haben!“
Eine rauchschwarze Hand durchschnitt die Nebel der nächtlichen Wolken. Blitzen entfuhren den schmalen Fingern und berührten die oberste Spitze des Berges. Grollender Donner folgte.
Luna Majai dachte zurück – an jene Zeit, da noch Frieden herrschte zwischen den Lichtfolgern und den Nachtjägern, zwischen ihr und Helios Karim.
Viele gaben den Menschen die Schuld daran, dass dieser Frieden zerbrach – ebenso wie der Spiegel der Göttin. Wohl mochten sie Recht haben. Die Sterblichen gehörten weder zum Volke Helios Karims noch zu dem ihrigen. Sie schufen sich ihre eigenen Götter, säten Zwietracht zwischen den Völkern und schlugen sich jeweils auf die Seite, die ihnen gerade mehr zusagte. Luna schauderte bei dem Gedanken, dass einer jener Sterblichen nun Anspruch auf einen der fünf Spiegel erhob. Und Kandira hatte ihn ausgewählt. Die Prophezeiung würde sich erfüllen; es würde erneut Krieg geben … und er hatte bereits begonnen.
Erneut durchschnitten Blitze die Nacht.
„Nein, so leicht solltest Du es nicht haben!“

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Ein Grollen war zu vernehmen. Immer wieder drehte Assin sich um. Ihm war als bewegten sich die Wände dieser zwar kleineren doch nicht minder beeindruckenden Höhle, in welcher sie sich nun befanden. Vor ihnen, auf einem kunstvoll gearbeiteten steinernen Stuhl, saß sehr mürrisch auf seine Axt gestützt Dirkan, der älteste der Pardu. Seine Augen blickten unablässig auf Assin, während seine Finger in gleichsamer Bewegung über die zweifellos scharfe Schneide seiner Axt strichen. Ja, er sah aus, wie Assin sich einen Zwerg immer vorgestellt hatte. Seine Haare waren lang und ließen sich auf den ersten Blick in ihrer rötlichen Farbe kaum von seinem noch um ein vielfaches längeren Bart trennen. Die Kleidung bestand aus grob gewirkten, naturfarbenen Stoff. Darüber ein langes gegürtetes Kettenhemd aus dem gleichen stumpfen Eisen wie der Helm, den er trug.

Ein wenig erinnerte Dirkan ihn an eine Zeichnung aus einem alten Buch und Assin zweifelte keinen Augenblick daran, dass der Zwerg selbst es war, der dem Zeichner als Modell gedient hatte. Vor allem glaubte er die Axt wieder zu erkennen.
„Bagrieda sagte mir, ihr wolltet mich sprechen, Fremde. Also sprecht nun oder geht!“
„Schon oft begegnete ich den stolzen Kriegern der Berge.“ Nafei trat vor. „Nun, da mich mein Weg erneut in die Berge führt, wusste ich, dass ich Euch wieder sehen musste. Auch gerade jetzt, da wir weder Wasser noch Nahrung bei uns führen.“
Es grollte erneut und der Boden unter ihnen erbebte. Erschreckt drehte Assin sich erneut um. Die Decke riss auf und feiner Sand rieselte zu Boden. Wieder sah er auf Nafei, die wirkte, als würde nichts geschehen. Auch Dirkan saß noch immer ruhig, eher gelangweilt, auf seinem Stuhl und streichelte seine Axt.
„Auch haben wir Gold, Euch zu bezahlen.“ Fuhr Nafei fort. „Und mit wem könnte man besser handeln als mit dem Volk der Zwerge?“
Die Augen des Zwerges begannen bei dem Wort Gold zu leuchten.
„Nun gut, Ihr sollt Nahrung und Wasser bekommen. Auch bleibt heute Nacht als unsere Gäste. Doch dann geht! Bagrieda, stelle zwei Teller mehr auf unsere Tafel. Heute Nacht werden sie bleiben!“
Die stämmige Frau mit den langen rotblonden Zöpfen drehte sich mürrisch um und lief in den Gang, welcher in den großen Saal zurückführte.
„Wir essen in einer Stunde!“, hallte es aus dem Dunkel, wo Bagrieda irgendwo einen im Weg liegenden Stein an die Wand trat. Dirkan seufzte, sprang von seinem Stuhl und folgte ihr.
„Wir sehen uns also in einer Stunde in der Halle. Ihr solltet früher da sein!“
Seine Stimme wurde untermalt von einem weiteren Grollen.
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